Das Wissen managen

»Hypertext und Schnittstellenchaos«

Kurz vor einer Opernpremiere, kurz vor der Vernissage, kurz vor einer Präsentation im Kulturausschuss des Parlaments, geht es hektisch zu und her (schön für die, bei denen das anders ist). Wenn dann der Premierenapplaus vorüber oder auch – später? – der Katalog gedruckt ist, ist es geschafft und viele fragen sich nicht mehr, wie eigentlich das schon wieder funktionierte.
Auch der normale Alltag einer Institution im Kulturbusiness ist nicht unbedingt etwas für gemächliche Menschen. Heute kommt der wichtigste Mäzen des Hauses, der raubt immer viel kostbare Zeit, aber eigentlich geht’s um das Budget der übernächsten Ausstellung, welche in Kooperation mit dem spanischen Museum erfolgt, und die Feier im Freundeskreis gestern Abend zur Verabschiedung der Gastchoreografin war auch ein wenig lang gewesen. Und der Kollege ist sauer, weil das versprochene Gut zum Druck für den Werbeflyer fehlt. Ist es da möglich, die Abläufe in der Organisation zu verbessern? Wie können zu grosse Reibungen vermieden werden?

Vor einigen hilfreichen Antworten muss zuerst ein Mythos betrachtet werden: Das ist alles typisch für die Kunst und den Kulturbereich. Nein, ist es nicht. Es ist typisch für so genannte Expertenorganisationen, dass sie sich als einzigartig sehen.
Expertenorganisationen sind Organisationen, bei welchen unterschiedliche, nicht leicht ersetzbare Fachleute einen Betrieb managen und in der Aussenwahrnehmung repräsentieren. Somit sind ihr Fachgebiet und die Anwendung der jeweiligen Fachkenntnis primär ausschlaggebend für den Erfolg des Gesamtunternehmens. Das ist beispielsweise anders bei einer Maschinenorganisation, bei der vor allem eine weitgehend (über-)rationalisierte Struktur, z.B. eine enge Standardisierung der Arbeitsprozesse, und letztlich die Kostenfrage über den Erfolg des Produkts entscheidet (Maschinen-Organisationen sind z.B. Industrieunternehmen mit klarem, eher eindimensionalem Produkt, wie Autos oder Pflegeprodukte).

Expertenorganisationen sind neben Organisationen im Kultur- und Kunstbereich etwa auch Krankenhäuser mit den Fachärztinnen und Fachpflegenden, dann Universitäten mit den Professoren, auch Versuchs-Schulen mit den Lehrkräften (normale Schulen funktionieren meist mehr nach Lehrplänen und jeweiligem Schulhausklima) oder auch grössere Anwaltssozietäten oder etwa die auf Neuentwicklung ausgerichtete Computerbranche. Allen diesen Organisationen ist gemein, dass die Fachleute engagiert in ihrem Fach sind, ohne sie erstmal wenig läuft und ein mehr oder weniger grosses Chaos an den Schnittstellen herrscht – also da, wo einzelne Disziplinen und Personen zusammenarbeiten müssen. Die Pflegefachfrau regt sich über den Arzt auf, zwischen der universitären Historikerin und dem Immatrikulationsbüro läuft es zum Glück gut, dafür hat die Kuratorin arbeitstechnische Mühe mit dem Leiter der Werkstatt.

Was gilt es bei Expertenorganisationen besonders zu beachten? Einige Stichworte mögen helfen:

  • Wertschätzung für die anderen Fachgebiete ist unerlässlich
  • Ohne zudienende Mitarbeiter oder administratives Personal läuft nichts
  • Konfliktuöse Situationen der Experten untereinander werden oft durch die Administration gemildert oder beseitigt
  • Fachliche Weiterentwicklung und Analyse des gesamten Fachbereichs ist notwendig
  • Momente des persönlichen, professionellen Nachdenkens sind innerhalb der Arbeitssituation sinnvoll und benötigen Zeit

Zwei herausragende Bedürfnisse von heutigem Personal werden in einer Expertenorganisation befriedigt. Einerseits die eher demokratische Machtübergabe hin zur eigenen Gestaltung auch an mittlere Chargen (wenn es Experten sind) und andererseits eine gewisse Autonomie, da die Zusammenarbeit nicht immer eng erfolgen muss. Diese Bedürfnissbefriedigung ergibt klare Probleme. Was ist mit dem impliziten Wissen, was eine Expertin mitbringt resp. nutzt? Ein Stellenwechsel bringt nicht nur erfrischend Neues, sondern erst einmal auch einen herben Verlust von eingespieltem Tun und von abwanderndem Wissen. Oft geht ein Wissensbereich verloren, auch wenn ein neuer kommt. Das eingespielte Handeln, die sehr gut bis passabel funktionierende Zusammenarbeit zwischen den Professionen muss oft neu definiert werden.

Im japanischen Management etwa ist der Fokus auf implizites Wissen gerichtet: Intuition, Erfahrung, mehrdeutige Sprache sind in gemeinsamer Sozialisation ausgedrückt.

Wie kann der Wissensverlust verringert werden? In westlicher Unternehmenspraxis liegt der Schwerpunkt auf explizitem Wissen: analytische Fähigkeiten ‚produzieren’ Handbücher, Dokumente und Datenbanken. Im japanischen Management etwa ist der Fokus auf implizites Wissen gerichtet: Intuition, Erfahrung, mehrdeutige Sprache sind in gemeinsamer Sozialisation ausgedrückt. Das hiesse übersetzt, dass das implizite Wissen immer wieder explizit gemacht werden muss, man kann über bereits funktionierende Zusammenarbeit reden und gemeinsam Erfolgsfaktoren definieren (und durchaus auch aufschreiben).

Funktionierende Zusammenarbeit zwischen Professionals kann gefördert werden durch eine Neuausrichtung der Wertigkeit von arbeitsrelevanten Projekten (Projekte könnten sein z.B. die Organisation der Museumspädagogik, die Art der Zuschauergespräche, die Etablierung von regelmässiger Analyse mit universitären Fachexperten z.B aus der Kulturwissenschaft.)

Die ideale Expertenorganisation wäre demnach eine sogenannte ‚Hypertextorganisation’. Das ist begrifflich der Computerbranche entlehnt (wesentliches Merkmal ist das gleichzeitige Abrufen verschiedener Informationen und Inhalte) und meint die Beschreibung einer Organisationsform, bei welcher komplementär Projektstruktur, Wissensbasis und Bürokratiestruktur genutzt wird:

  • Hierarchisches Geschäftssystem, welches Routinearbeiten erledigt
  • Wissensbasis, welche für alle leicht nutzbare und zugängliche Technologie, Unternehmensvision, Unternehmenskultur beinhaltet

Mit einer flexiblen Hypertextkultur kann schliesslich einem grösseren Problem der Expertenorganisation begegnet werden. Eine gewisse Innovationsresistenz der einzelnen Fachdisziplinen wird durch machtvolle Projektaufträge – mit zuvor festgelegter Umsetzungskompetenz – aufgeweicht.